Was kann, was soll Architekturfotografie?
Architekturfotografie dient als Multiplikator architektonischer Wirkung, und sie kann dies auf sehr verschiedene Weise tun. In der werbenden Fotografie wird man eher idealisieren oder gar heroisieren, in der dokumentierenden unterlässt man dies besser. Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich hier allerdings ab, mit deutlichen Auswirkungen auf die Praxis des Architekturfotografen. Nachdem es mit digitalen Techniken wie Rendering und Raytracing möglich ist, fotorealistische Bilder von Räumen und Gebäuden zu erzeugen, bevor auch nur der erste Spatenstich zu deren Erstellung getan ist, verliert die rein dokumentarische Auffassung von Architekturfotografie an Bedeutung. Eine behutsam interpretierende, etwas subjektivere Sichtweise wird daher von vielen Auftraggebern bevorzugt, bzw. gefordert.
Linien und Flächen, Räume und Formen sind die Elemente der Architektur, und sie werden in der Fotografie neu inszeniert, es geht darum, diese Elemente in der zweidimensionalen Bildfläche zu ordnen, zu reduzieren, in einen Rhythmus zu bringen, überschaubar zu machen, ohne dass bei diesem Abstraktionsvorgang Tiefe und Plastizität des abgebildeten Raumes verloren gehen.
Die Fähigkeit, eine zunächst vielleicht verwirrende Zahl von Linien, Überschneidungen, Flächen, räumlichen Volumina zu ordnen, auf zwei Dimensionen zu reduzieren, unterscheidet den guten Architekturfotografen vom Laien. Reduktion spielt hierbei eine wesentliche Rolle, die Eliminierung störender Elemente. Es geht also, um es an einem praktischen Beispiel zu erläutern, nicht darum, ein dekoratives Element in ein Bild einzuführen, wie etwa eine Vase auf einen Tisch zu stellen, sondern es geht eher darum, zu erkennen, wo diese Vase störend ist und dieses störende Element zu eliminieren, zu entfernen. Architekturfotografie erfordert das Einnehmen von Stand-Punkten. Bei der Transformation eines dreidimensionalen Raumes in ein zweidimensionales Bild, bei der Übersetzung von Volumen in Fläche, entstehen häufig Überschneidungen, Konvergenzen, Ungleichgewichte, die der Architekt nicht berücksichtigen muss, nicht berücksichtigen kann, da er dreidimensional denkt. Der Architekturfotograf tritt hier als Übersetzer auf, hilft durch richtige Wahl von Standpunkt und Perspektive, Linien und Flächen zu ordnen und somit in der zweidimensionalen Abbildung verständlich zu machen. Gute Architekturfotografie setzt ein ausgeprägtes Gefühl für Licht und Form voraus.
Als Architekturfotograf sehe ich mich meinem Auftraggeber und seinen jeweiligen Erfordernissen verpflichtet, behalte mir jedoch das Recht auf ein gewisses Maß an interpretierender Subjektivität vor. Es ist meine Aufgabe, ein visuelles Destillat herzustellen, indem ich aus den Millionen von denkbaren Standorten, Standpunkten, Ausschnitten, eine Handvoll wähle, die das Gesamte repräsentieren können. Ich versuche, spirituelle Momente transparent zu machen, und die Idee und Vision des Ganzen einzufangen.
Fototechnische Details, etwa die Wahl der Kamera, ob ich eine großformatige Kamera benutze oder eine leichte, schnelle, digitale Spiegelreflex, ob ich stürzende Linien (konvergierende Vertikale) bereits bei der Aufnahme korrigiere oder erst in der digitalen Nachbearbeitung, sehe ich als untergeordnet an. Sie sind weitgehend von den Forderungen des Auftraggebers (gewünschte Abbildungsgröße und -qualität) abhängig, sowie vom zur Verfügung stehenden Budget, und vor allem vom Zeitrahmen, in dem die Aufnahmen erstellt werden müssen. Sehr häufig lässt ein enges Terminfenster nicht das ruhige, abwägende, bedächtige Arbeiten zu, das der Architekturfotografie adäquat wäre; meine Arbeitsweise und die Wahl der technischen Mittel muss ich darauf abstimmen.
Architekturfotografie als Auftragsfotografie ist an Termine gebunden. Der ideale Zeitpunkt für Architekturaufnahmen liegt typischerweise am Schnittpunkt zwischen Fertigstellung und Innutzungnahme des betreffenden Gebäudes. Damit in Einklang zu bringen ist die Jahreszeit, in der die Fotos aufgenommen werden sollen. Da dieser ideale Zeitpunkt fast niemals erreicht werden kann, kommt hier eine weitere Aufgabe auf den Fotografen zu: durch die Wahl des richtigen Standpunkts, des richtigen Ausschnitts, der richtigen Perspektive evtl. störende Details auszublenden, Stellen an denen noch Spuren der Bautätigkeit, von Unfertigkeit zu sehen sind, oder aber, im anderen Falle, wo bereits Spuren der Benutzung das Gebäude unattraktiver machen.